In alten Zeiten, als noch wenige Menschen hier im Lande lebten, trieb einmal ein Schiff
ohne Steuer und Ruder die Schlei herauf: darin lag ein eben geborner Knabe, nackt und schlafend,
mit dem Kopfe auf einer Garbe; um ihn her waren Waffen aller Art und viel edles Geschmeide hingelegt.
Niemand kannte ihn und wußte, woher er gekommen sei; aber man nahm ihn wie ein Wunder auf,
pflegte und erzog ihn, bis er erwachsen war, und weil man glaubte, daß ein Gott ihn gesendet habe,
und die Herrlichkeit des Jünglings sah, wählte man ihn zum ersten Könige über die Angeln und
nannte ihn Skeaf oder Schoof, weil man ihn schlafend auf einem Schoof, einem Bündel Stroh,
gefunden hatte.
Skeaf aber wohnte an dem Orte, der von altersher Schleswig heißt, und herrschte lange Zeit
ruhmvoll über sein Volk.

Sein Sohn hieß Skild, d.i. Schild. Dem mußten bald alle Umwohnenden gehorchen; seinem Volke war
er ein lieber Landesfürst. Aber lange blieb er ohne Nachkommen, bis ihm im hohen Alter
Beowulf oder Beaw geboren ward. Dessen Ruhm verbreitete sich schnell in den Skedelanden
zwischen den beiden Meeren.

Als dem alten Könige nun das Schicksal nahte und er dahin ging, brachte sein Gesinde die
teure Leiche zum Ufer, wie er selbst befohlen hatte, da er noch lebte. Zur Ausfahrt stand
sein Schiff bereit, glänzend wie Eis: da hinein legten sie trauernd den Fürsten, mit dem
Haupte zum Maste. Kein Schiff war je prächtiger ausgerüstet: eine Menge von Schätzen und Kleinoden,
Waffen und Kriegsgewändern lagen umher, wie einst in dem Schiffe, das den Skeaf zu Lande
getragen hatte. Hoch an den Mast band man ein güldnes Banner als königliches Zeichen und
überließ es dann steuerlos dem Spiel der Fluten.

Von nun an herrschte Beowulf über die Lande seines Vaters und ward durch seine
zahlreichen Söhne Stammvater aller edlen Geschlechter, die einst nicht nur bei den Angeln blühten,
sondern auch bei den Gothen, Wandalen, Schweden, Dänen, Norwegern, Jüten, Friesen und Sachsen,
bei allen den Völkern, die einst an Ost- und Westsee wohnten.

 

Skeaf und Skild

 
Quelle : Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg.
Kiel: Schwerssche Buchhandlung, 1845